ANDACHT

Begeistert, entflammt, Feuer gefangen – diese schönen Worte kommen in ihrer positiven Deutung vom Pfingstfest. Die biblische Erzählung von der Geburtsstunde der Kirche gebraucht das Bild vom Feuer, um zu beschreiben, was mit den Jüngern passiert war, welche Veränderung in ihnen durch Gottes Geist spürbar wurde. Zungen wie von Feuer auf ihnen - übersetzte Luther und deutete damit an, dass die Zunge, die Sprache im Besonderen betroffen war. Sie redeten in verschiedenen Sprachen, derer sie eigentlich gar nicht mächtig waren. Dabei hatten sie sich völlig verängstigt eingeschlossen, im Haus und in sich, in ihrer Trauer um Jesus und um ihr offensichtlich gescheitertes Leben.
Diese Geschichte ist ein wunderbares Beispiel, wie die positiven Bilder und Gefühle die vorherige negative Stimmung überstrahlen und aufheben. Zu oft können wir (auch in Predigten) das Negative und Sündhafte viel plastischer beschreiben als Heil und Erlösung. Und die allgemeine Stimmung verstärkt das seit Längerem. Krisen, Kriege und Klimawandel – ich sehne mich und brauche dringend gute Nachricht. Ich möchte begeistert werden, mich entflammen und Feuer fangen. Natürlich nicht für irgendetwas Beliebiges. Meine Sehnsucht sucht nicht ziellos im Blauen.
Zu Pfingsten war es keine neue Liebe, die die Jünger entflammt hat. Nicht das ganz andere. Sie haben weder eine neue Sprache noch eine andere Botschaft erfunden. Und auch keinen neuen Trainer gewählt. Sie haben mit sich selbst neue Erfahrungen gemacht. Haben gemerkt, dass sie selbst viel mehr zu tun vermögen als sie gemeint hatten. Und das waren ganz normale menschliche Fähigkeiten: sprechen, sehen, verstehen.
In der Geschichte wird bald am Anfang gesagt, dass sich Gottes Geist auf sie gelegt habe. Tatsächlich wird es sich so zugetragen haben, dass zuerst die neue Erfahrung da war und dann die Deutung hinterherkam, dass Gottes Geist die Ursache war für die neuen Fähigkeiten. Darum müssen wir für unser Pfingsten also nicht warten, dass spürbar der Geist in uns fährt, damit wir dann etwa begeistert reden könnten. Sicherlich gab es im verschlossenen Haus ein besonderes Erlebnis, das die Jünger ermutigt hat, die Türen zu öffnen. Aufgemacht haben sie die Türen aber wirklich selbst und gesprochen
in den vielen Sprachen auch.
Dass da etwas passiert in mir, dass der Funke überspringt – darum können und dürfen wir Gott bitten, das liegt nicht allein in unseren Händen. Aber dass unsere fünf Schwestergemeinden zusammenwachsen und zusammen wachsen, dass wir miteinander das Leben und den Glauben feiern und darin ansteckend werden, das können wir wirklich selbst. Wir werden in Zukunft deutlich mehr auf ehrenamtliches Engagement angewiesen sein. Das kann mühsam und herausfordernd sein. Aber es wird uns bereichern. Es steht nirgendwo geschrieben, dass nur Gemeindepädagogen Kindern erzählen und mit ihnen spielen, nur Kantoren Orgel spielen und Chor leiten oder nur Pfarrer Seniorenfahrten organisieren oder Konfirmanden anleiten können. Wir erleben doch schon so viel Wunderbares durch „normale“ Gemeindeglieder. Und das bereichert alle dabei Beteiligten.
Die Jünger haben zu Pfingsten aufgehört zu klagen, dass Jesus nicht mehr leibhaftig bei ihnen war. Sie haben gelernt, dass er in und mit ihnen war, zwar nicht sichtbar, aber wirkungsvoll. Pfingsten hat auch bei uns schon begonnen und geschieht immer wieder, die Geburt der Kirche.

Ihr Pfarrer Gabriel Beyer