Politisches Nachtgebet
Die Veranstaltungsreihe "Politisches Nachtgebet" findet mehrmals im Jahr in unserer Kirche statt.
„Arme Menschen haben keine Lobby“
Jane Jannke, Redakteurin der Obdachlosen-Zeitung „drObs“, sprach im Juni beim Politischen Nachtgebet
„Wer beschäftigt sich schon gerne mit Elend und Not?“ Diese Frage stellte Jane Jannke, als sie im Juni beim Politischen Nachtgebet sprach. Ihr Thema war Armut und die Frage eher rhetorisch. Denn Armut sei „ein sehr schwieriges und bedrückendes Thema“, und das wird so mancher schon an sich selbst festgestellt haben: Man schaut lieber weg, kauft sich eventuell mit ein bisschen Geld frei - und hat trotzdem noch ein schlechtes Gewissen.
Jane Jannke beschäftigt sich mit Armut, seit sechs Jahren ist die ausgebildete Journalistin als Redakteurin verantwortlich für die Obdachlosen-Zeitung „drObs“, die im Stadtgebiet von Betroffenen verkauft wird. Sie berichtete, wie schnell man aus geordneten Verhältnissen auf der Straße, in Obdachlosigkeit und Armut landen kann - eine schwere, oft eine psychische Erkrankung, ein Schicksalsschlag, Arbeitslosigkeit, Drogen, Alkohol - das könne auch Menschen treffen, die das nie für möglich gehalten hätten.
„Da kommt ein Prozess ins Rollen, der ist schwer wieder aufzuhalten. Und je länger es dauert, desto schwieriger ist es zurückzukommen.“ Das weiß sie aus vielen, auch eigenen Erfahrungen in ihrem Umfeld. Aber Armut in der Gesellschaft sei nicht in erster Linie ein individuelles, sondern ein strukturelles Problem. „Die Politik, die Gesellschaft muss das angehen.“ Arme Menschen hätten keine Lobby. Aus ihrer Sicht reicht zum Beispiel „das Bürgergeld, das wir jetzt haben, nicht“. Die Diskussion um die Kindergrundsicherung macht sie wütend. Gerade bei Kindern müsse man hinsehen „und was tun, wenn sich abzeichnet, dass es Probleme gibt“. Und dann: Dass man monatelang warten müsse auf einen psychischen Beratungstermin - ein großes Problem.
Kritisch sieht sie die Legalisierung von Cannabis - „das wird die Lage noch verschlimmern“. Die Tafeln sind, obwohl sie natürlich eine wichtige Arbeit leisten, für sie ein „Symbol der Armut“. Man sollte sie nicht brauchen. Ebensowenig wie Menschen, die mit Hartz 4 oder Bürgergeld aufstocken müssen: „Zwei Drittel von denen arbeiten.“ Man solle sich doch einmal in die Lage solcher Menschen versetzen: „Niemand will von 502 Euro im Monat, niemand will auf der Straße leben.“ Aber wichtig sei erstmal, dass man offen über das Problem der Armut diskutiere.
Und die Menschen in Armut müssten eine Stimme haben. Darin sieht auch der Verein „drObs“ mit seiner Zeitung eine seiner Aufgaben. Außerdem unterhält er zwei Sozialarbeiter, berät, gibt Hilfe in prekären Lebenslagen, ist Ansprechpartner, will Menschen helfen, zurückzufinden zu Würde und ins Leben. So hat der Verein auch den Verkauf der Zeitung besser organisiert. Mittlerweile gibt es rund 75 Menschen von jung bis alt, die „drObs“ an festen Stellplätzen anbieten. „Und oft hilft auch ein freundliches Wort“, erklärte Jannke. Nicht nur das Geld zählt, auch die Anerkennung ist willkommen. Anerkennung gab es auch aus dem Kreis der Besucher: Lob für die journalistische Qualität der Zeitung, die doch vor allem von Laien gemacht wird.
Unser Pfarrer Beyer hatte am Anfang die entscheidende Frage gestellt: „Wir wollen als Gesellschaft die Abschaffung der Armut - aber wie ist das zu schaffen?“ Wenn einem doch das Thema unangenehm ist und man lieber wegguckt. Aber Jesus habe deutlich gesagt: „Schaut hin und nehmt die Armut weg.“ Peter Setzmann am Flügel hatte sich an diesem Abend für ein Stück aus Robert Schumanns „Kinderszenen“ entschieden: „Bittendes Kind“. Für Auftakt und Abschluss hatte er Begleitung durch Elke Jahn an der Gitarre - „Les baricades mistérieuses“ des französischen Komponisten François Couperin und von Phil Collins die bittere Ballade „Another day in Paradise“.
Bernd Hempelmann
Der Minister und das Sachsentempo
Martin Dulig, zuständig für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, zu Gast beim Politischen Nachtgebet am 26.5.23
„Ohne Kohle, Gas und Öl… wie wird in Sachsen die Transformation der Wirtschaft gelingen?“ Das war das Thema, zu dem Wirtschaftsminister Martin Dulig Ende Mai im Politischen Nachtgebet sprach. Doch es ging nicht in erster Linie um das „ohne“, es ging um das „mit“; und es ging nicht nur um die Transformation der Wirtschaft, es ging um den Umgang mit Veränderungen insgesamt.
Dass auch Sachsen in Zukunft ohne die fossilen Brennstoffe auskommen muss, steht fest. Aber kann der Weg dahin schnell genug gelingen? Sachsen habe noch eine Menge zu tun, sagte der Minister, der Freistaat habe sich zu lange auf die Kohle konzentriert. Gegen den Bau von Windkraftanlagen gebe es in Sachsen die meisten Bürgerinitiativen. „Es geht nicht darum, ob wir ein Windrad schön finden oder nicht; es geht darum, bei der Energieversorgung unabhängiger zu werden“, der Krieg in der Ukraine habe das umso klarer aufgezeigt.
Nun müsse es noch viel schneller gehen. So wie der Bundeskanzler für Deutschland „mehr Tempo verordnet“ habe, so brauche es auch ein „Sachsentempo“. Und Sachsen hat aus Sicht Duligs gute Voraussetzungen - die Lage mitten in Europa, Kontakte ins westliche Europa, aber auch in den Süden und Südosten, innovative Firmen, die hier an der Technik mit erneuerbaren Energien, auch grünem Wasserstoff arbeiten. „Sachsen kann zeigen, dass wir wirklich ganze Versorgungsketten aufbauen können. Wir haben die Kapazitäten, wir haben die Möglichkeiten, wir müssen sie nur nutzen.“ Und man müsse genügend erneuerbare Energie bereitstellen können - „nicht aus der Politik, aus der Wirtschaft kommt der Ruf danach“. Wichtig sei aber auch, die Menschen mitzunehmen - „ohne Zustimmung in der Bevölkerung, ohne Mehrheiten werden wir das nicht schaffen“.
Der Umgang mit dem Thema der Energieversorgung in den letzten Wochen habe ihm Sorgen gemacht, räumte Dulig ein. „Es geht nicht um Ideologien, es geht um das Machbare.“ Auf die Frage, ob man nicht ehrlich sagen müsse, dass das mit Verzicht zu tun haben werde, sagte Dulig, seine Botschaft sei ja, Verhaltensweisen müssten sich ändern, aber warum müsse das Verzicht bedeuten? Es gehe um mehr Lebensqualität, Energiesicherheit, Mobilität - „der Weg dahin muss nicht nur machbar, er muss auch gerecht sein“. Allein auf Vernunft zu setzen, bringe nach seiner Erfahrung nichts. „Die Menschen müssen sehen, dass sie einen Nutzen haben - dann wächst auch die Akzeptanz.“ Die Bereitschaft, sich einzulassen auf Veränderungen.
Neu beim Politischen Nachtgebet an dem Abend war auch ein Gesprächsangebot in der Kirche, das die Junge Gemeinde angeregt hatte. In Gruppen konnten sich die Besucher zusammenfinden, um über das Gehörte miteinander zu reden. Bis der Pfarrer sie wieder zum gemeinsamen Abschluss zusammenrief.
An ein Beispiel für den Mut zur Veränderung aus dem Alten Testament hatte Pfarrer Gabriel Beyer schon bei der Begrüßung erinnert. Als die Israeliten nach Kanaan kamen und dort den einen, ihren Gott mitbrachten gegenüber den althergebrachten Naturgottheiten. Es sei immer wieder Thema im AT, „das unbedingte festhalten Wollen am Alten, am Gewohnten - und der Einladung zum Neuen, das Ungewohnte zu wagen“. Das ließ sich mit dem Lied 395 aus dem Gesangbuch auch schön zum Klingen bringen: „Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist, weil Leben heißt: sich regen, weil Leben wandern heißt.“ Ein Text übrigens aus dem Jahr 1989.
Nachdem es so viel um Windkraft und offene Fragen gegangen war, hatte Peter Setzmann am Flügel kein Problem, das zum Schluss mit viel Spielfreude umzusetzen: Bob Dylans „Blowing in the wind“. Zum Auftakt hatte er kraftvoll an eine der ganz Großen im Musikgeschäft erinnert, an Tina Turner, die wenige Tage zuvor gestorben war. Der Titel: „Simply the best“ - und wollen wir das nicht alle?
Bernd Hempelmann, Foto: Karla Tolksdorf-Hempelmann
Ein Nachtgebet mit Führung durch die Heide
Revierförster Thomas Stelzig sprach über die Zukunft unserer Wälder
Für einen Förster sehen die Jahreszeiten am besten so aus: ein schneereicher, kalter Winter, ein feuchtes Frühjahr, ein regenreicher Sommer, ein feuchter Herbst. Mit dem Frühling 2023 war Thomas Stelzig sehr zufrieden. „Das war ein schönes Frühjahr, alles kommt ganz langsam.“ Thomas Stelzig ist als Förster zuständig für das Revier Bühlau in der Dresdner Heide, und er sprach beim Politischen Nachtgebet im April in unserer Kirche über die Zukunft des Waldes. Der hat es nicht leicht in diesen Zeiten, und die Dresdner Heide schon mal gar nicht: massiv genutzt für Freizeit und Erholung, für die Waldbewirtschaftung, bedrängt von Klimawandel und Trockenheit… aber Thomas Stelzig, der hier seit mehr als 30 Jahren für ein Areal von knapp 1500 Hektar zuständig ist, war recht optimistisch: „Den Wald wird es auch in 100 Jahren noch geben“, war er sicher. „Er wird nur ganz anders aussehen als heute.“
Noch bestehe die Heide zu 47 Prozent aus Kiefern, erzählte Stelzig. Alle zehn Jahre werde Waldinventur gemacht. Doch dieser Baum werde stark zurückgehen - man will wieder mehr Mischwald, standortnahe Laubbäume. Andere Bäume, die fast verschwunden waren, werden wieder gepflanzt, zum Beispiel die Weißtanne: „Sie hatte hier mal zehn bis 15 Prozent, zur Wende gab es noch ganze acht Stück.“ Der Wald wird wieder vielgestaltiger, mit mehr Baumarten.
Dann die Waldschäden durch Stürme. „2017 ging das los“, sagte Stelzig. Trockenheit schwächt viele Bäume, die Stürme werfen sie um. Kranke Bäume fallen auch eher Schädlingen zum Opfer, ein gesunder hingegen hat Abwehrkräfte. Wie auch der Wald insgesamt - ein gesunder Wald sorgt für sich selbst, bei einem angegriffenen muss man nachhelfen. Einen Hektar aufzuforsten, koste zehn- bis 15.000 Euro, rechnete der Förster vor. „Alles Handarbeit, jede neue Pflanze muss von Hand gesetzt werden.“ Dabei achten die Förster in der Heide immer auf Vielfalt, auf jedem Hektar müssen mindestens fünf Baumarten stehen.
Am Schluss fand Thomas Stelzig auch noch den Bogen vom Wald zur Kirche - viel Holz wird nämlich zum Beispiel gebraucht für die Decken und den Dachstuhl. „Ohne den Wald würde diese schöne Kirche hier nicht stehen“, sagte er. Und das mache ihn auch ein wenig stolz, wenn der Baum erst 100 Jahre im Wald gewachsen ist und dann 300, 400 Jahre noch Dienst tut als sichtbares Bauholz in der Kirche.
Da konnte auch unser Pfarrer Gabriel Beyer sehr schön anknüpfen. Lieder aus dem Gesangbuch zu Wald und Natur fand er einige. Und den Baum in der Bibel als Beispiel für den Menschen. Weil Lied und Wald eben einfach zusammengehören, hatte Peter Setzmann am Klavier an diesem Abend Verstärkung: Die Sängerin Anett Ziller trug drei Stücke vor, vom „Vöglein im hohen Baum“ über „Dich, Du schöner Wald“ bis zu „O Täler weit, o Höhen“.
Und am nächsten Morgen lud Revierförster Stelzig noch zu einer Führung durch die Heide an - knapp zwei Stunden bei schönstem Sonnenschein zeigte er viele Beispiel für das, was er am Vorabend in der Kirche berichtet hatte.
Bernd Hempelmann
Warum und wie sich Christen einmischen können
Superintendent Albrecht Nollau zur Frage „Kann Kirche unpolitisch sein?“ im Politischen Nachtgebet am 31.3.2023
Mehrmals war die Rede von Dilemmata, als Albrecht Nollau, Superintendent für Dresden-Nord, Ende März im „Politischen Nachtgebet“ in unserer Kirche sprach. „Kann Kirche unpolitisch sein?“, war die Frage, die er in seinem Thema stellte. Und da streiten sich eben die Geister - die einen fordern, Politik habe in der Kirche nichts zu suchen, man suche einen Ort der Gemeinschaft, wolle „zur Ruhe kommen“ im Gottesdienst; die anderen wollen und müssen sich engagieren: für Klimaschutz, für Flüchtlinge und den Umgang mit ihnen, für Frieden und im Streit um Waffenlieferungen…
Nollau räumte ein, für beide Positionen gebe es Argumente. Er erinnerte sich an einen Hinweis in einem Kirchen-Schaukasten: „Hier gibt es keine Politik von der Kanzel“ - was von den einen mit Erleichterung, von den anderen mit Empörung aufgenommen worden sei.
Also was tun? Nollau stellte klar, die Kirche - wenn auch eine große, wichtige Institution - habe keine konkrete politische Macht: „Sie ist keine Partei, ist in keinem Parlament.“ Gleichwohl gebe es Christen in politischen Parteien und mit unterschiedlichen Einstellungen. So sei die Kirche zugleich Gemeinschaft und aber auch vielfältig, ein Ort der Debatte, möglichst „im herrschaftsfreien Dialog“. Wo man sich auseinandersetzen könne, ohne sich anzuschreien. Sie beteilige sich an Debatten und Demonstrationen, aber „die Kirche kann nicht Gewalt zur Durchsetzung von Forderungen anwenden - wir haben das Wort und nur das Wort“.
Die Predigt bedürfe deshalb besonderer Aufmerksamkeit, argumentierte Nollau. „Politikschelte hat auf der Kanzel nichts zu suchen, die Fürbitte für politisch Verantwortliche schon.“ Denn die Politik betreffe alle Menschen. Sie sei „die Gestaltung des Zusammenlebens durch Regeln und Kommunikation und eine Technik, unterschiedliche Interessen zu verbinden“. Die Kirche sei Teil eines Netzwerks zwischen engagierten Menschen, meinte Nollau, aber immer sollte erklärbar sein, „warum wir als Christen uns einmischen, mitreden, protestieren - immer in Bezug zur Bibel“.