Politisches Nachtgebet
Die Veranstaltungsreihe "Politisches Nachtgebet" findet mehrmals im Jahr in unserer Kirche statt. Hier finden Sie die Berichte zu den Veranstaltungen im aktuellen Kalenderjahr.
Ältere Veranstaltungen sind hier archiviert: 2025 2024 2023 2022
„Wir müssen in den Maschinenraum“
Ex-Minister Thomas de Maizière sprach über eine grundlegende Staatsreform beim Politischen Nachtgebet im April
Was hatte sich Peter Setzmann am Flügel da nur wieder ausgedacht: „Take five“ spielte er zum Auftakt des Politischen Nachtgebets im April mit Thomas de Maizière - das bekannte Jazzstück hat den ungewöhnlichen Fünf-Viertel-Takt. Das passte. Denn über einen etwas aus dem Takt geratenen Staat sprach auch der ehemalige Landes- und Bundesminister an diesem Abend - sein Thema: Was ist eigentlich los in Deutschland?
„Heute gibt’s Schwarzbrot, kein Toastbrot“, stimmte er gleich auf das Folgende ein und beschrieb, was dem Land schwer im Magen liegt. Es waren Themen, die wir alle kennen: von veralteter Infrastruktur bis zur Sorge um den Krieg in Europa, mangelnde Digitalisierung, Wohnungsnot, die Demographie („wir haben nicht zu viele Alte, wir haben zu wenig junge Menschen in Deutschland“). Das alles eingebettet in eine immer unsicherer werdende internationale Lage, in der die Bedeutung „des Westens - die USA und Europa“ zunehmend schwinde. Das habe dazu geführt, dass bei den Bürgern im Krisenmodus trotz eines insgesamt hohen Lebensstandards das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates gesunken sei. „Viele sehen den Staat überfordert - und das ist ein sehr schlechtes Zeugnis.“
Was erwartet also der Bürger vom Staat? (Und umgekehrt?) Thomas de Maizière setzt sich zurzeit mit dieser Thematik auseinander. Zusammen mit dem ebenfalls ehemaligen Minister Peer Steinbrück, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Thomas Voßkuhle und der Managerin Julia Jäkel hat er die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ ins Leben gerufen, die dazu Empfehlungen unterbreitet. Es brauche, so de Maizière „eine grundlegende Reform. Nicht die Frage nach dem „wer“ oder dem „was“ sei entscheidend, sondern die Frage nach dem „wie“. Dafür „müssen wir in den Maschinenraum des Staates“, forderte der Politiker.
So müssten z.B. die Strukturen durchforstet werden, beim Katastrophenschutz etwa die Zuständigkeiten des Bundes und der Länder. Es sollte ein „Abweichungsrecht“ geben - Beispiel: wenn in einer Kita-Gruppe ein Kind mehr ist als zulässig. „Man darf vom Standard abweichen, wenn die Pflicht erfüllt und die Sicherheit gewährleistet ist.“ Daraus ergibt sich ein Grundgedanke: Mehr Vertrauen in die Bürger - weniger Misstrauen, das eine Regulierungsflut nach sich zieht. Das bedeute dann auch den „Abschied von gewohnten Regeln - über die wir aber gleichzeitig schimpfen“.
Die Demokratie beschrieb de Maizière mit „Partizipation, Repräsentation und Problemlösung“ - bei den ersteren „sind wir gut“, letzteres muss verbessert werden. Da nahm er auch die Bürger in die Pflicht: „Engagieren Sie sich in Institutionen, die es gibt, um Aufgaben anzugehen, Probleme zu lösen.“ Im Moment seien wir „an einem sehr kritischen Punkt in Deutschland“, aber er meine das positiv: „Es gibt jetzt ein Momentum - ein Fenster für Veränderung.“
Darauf verwies auch Pfarrer Beyer in seiner Einführung. Dass die Demokratie engagierte Bürger brauche: „Der Staat sind wir.“ Dass es in der Bibel zwar eher um Reiche gehe, die von Königen, von Pharaonen regiert, in denen Götter angebetet wurden. Dem aber stehe dann das christliche Menschenbild gegenüber: „Das war erstmalig und einmalig - dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild schuf und damit die Gleichheit aller Menschen, vor sich und vor Gott.“
Den Schlussakkord setzte Peter Setzmann mit der berühmten Melodie aus Beethovens neunter Sinfonie - „Freude, schöner Götterfunken“. Die ging er aber mit so viel Schwung und Frische, Spielwitz und Improvisationsfreude an, als wolle er sagen: Schaut her, packt’s an, man kann auch mal was wagen.
Bernd Hempelmann, Foto: Karla Tolksdorf-Hempelmann