Politisches Nachtgebet

Die Veranstaltungsreihe "Politisches Nachtgebet" findet mehrmals im Jahr in unserer Kirche statt. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit der EEB (Evangelische Erwachsenenbildung) Sachsen statt. Hier finden Sie die Berichte zu den Veranstaltungen im aktuellen Kalenderjahr. 

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Oft eine Entscheidung auf Leben und Tod

Richterin Dr. Carola Vulpius sprach beim Politischen Nachtgebet im Oktober über das Asylrecht.

Wenn’s kompliziert wird, ist es hilfreich, erstmal Ordnung in die Begrifflichkeiten zu bringen. Genau das tat Dr. Carola Vulpius, als sie beim Politischen Nachtgebet im Oktober zum Thema „Asyl“ sprach. Sie ist als Richterin am Verwaltungsgericht seit vielen Jahren mit Asylverfahren befasst, besonders Afghanistan, auch Syrien. Wobei „Asylrecht“, wie im Artikel 16a Grundgesetz definiert, ein Überbegriff ist, der sich auf die Gesamtmöglichkeiten des Schutzes bezieht. Er selbst greift nur dann, wenn ein Flüchtling nicht direkt aus einem sicheren Drittstaat gekommen ist - und das ist in Deutschland kaum möglich, da die Einreise immer aus den Nachbarstaaten erfolgt. 
Es gibt dann den „Flüchtlingsschutz“ mit dreijähriger Aufenthaltserlaubnis, zudem - etwas niedriger angesiedelt - den „subsidiären Schutz“, der etwa keine Familien-nachholung ermöglicht, mit einjähriger Aufenthalts-erlaubnis, schließlich das einfache „Abschiebungsverbot“, etwa bei einer schweren Erkrankung oder wenn im Zielland eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder körperliche Unversehrtheit droht. „Das wird aber sehr streng gehandhabt“, sagte Vulpius. Sie ging noch weit detaillierter ein auf die Definition der Begriffe und die Konsequenzen des jeweiligen Status. Und kam dann zu ihrer Arbeit - denn erst, wenn jemand beim BAMF, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, abgelehnt wurde, landet der Fall vor Gericht.
„Jeder Staat“, erklärte Dr. Vulpius, „prüft die Asylfälle nach seinem Rechtssystem durch.“ Die Richter müssten sich lange beschäftigen mit dem Asylbewerber „und uns seine Geschichte anhören“. Man müsse viel nachfragen, „um zu verstehen, was die uns sagen wollen“. Man müsse sich klarmachen, dass - etwa in Afghanistan - die Gesellschaft ganz anders sei, das Land, das Leben, die Gebräuche. Da gebe es zum Beispiel die Blutrache noch. „Und der Asylbewerber kann sich auch nicht da reinversetzen, warum wir das nicht verstehen.“
Es sei ihr wichtig, verständlich zu machen, „was uns Richtern da aufgebürdet wird“. Es sei schließlich oft eine Entscheidung auf Leben und Tod, in Afghanistan sowieso. Man brauche viel Erfahrung, viel Recherche. Und Dolmetscher - „da muss man großes Vertrauen haben“. Zwar gebe es „Erkenntnismittel“, von unterschiedlicher Qualität - Lageberichte zu den Ländern aus dem Auswärtigen Amt, Berichte aus der EU, auch aus anderen europäischen Ländern, von Amnesty International… „Aber am Ende muss ich eine Überzeugung gewinnen. Glaube ich dem Flüchtling? Ist die Geschichte kohärent?“ Da könne sich ein Richter oft sehr alleingelassen fühlen, es sei eine große Belastung - „deshalb halte ich auch solche Vorträge“.
Eine lebhafte Fragerunde schloss sich an. Etwa zum Thema Ortskräfte - Afghanen, die während des Militäreinsatzes dort für die deutschen Streitkräfte gearbeitet haben und nun in großer Gefahr sind. „Ich finde es ganz schlimm“, sagte Vulpius, „ dass wir nicht einhalten wollen, was wir versprochen haben - dass wir sie nach Deutschland in Sicherheit bringen.“ Etwa zum Thema Kirchenasyl. „Ich verstehe jeden, der helfen will, aber wenn man Gesetze überhaupt nicht mehr einhalten will, schadet das dem Rechtsstaat.“ Sie kenne selbst einen Fall, „da war die Gemeinde sehr rechtsfern“.
Warum kommen so viele junge Männer? „Weil bei familiären Streitigkeiten die Blutrache droht. Da sagt die Mutter, du musst gehen und uns helfen, Geld schicken.“ Und dann ein Fall aus ihrer Praxis: Da war ein Minderjähriger gekommen, hatte sich „super integriert“, hatte eine Arbeit,, war in zwei Fußballvereinen aktiv, wurde volljährig - und bekam die Ausweisung. Er sei völlig verzweifelt gewesen, erinnerte sich die Richterin, bekam eine Depression, fragte sich, was habe ich falsch gemacht? Nun ja - nichts, aber so war die Rechtslage, die auch immer mal wieder führt zu der Frage: Schieben wir die Falschen ab?
Pfarrer Beyer hatte in seinen einleitenden Worten daran erinnert, dass „schon in der Bibel das Asylrecht geregelt“ war. „Unter den Städten, die ihr ihnen (den Leviten) abgebt, sollen sechs Asylstädte sein, die ihr als Zufluchtsort für den bestimmt, der einen Menschen getötet hat“, heißt es im 4. Buch Mose. Denn: „Die Städte sollen euch als Asyl vor dem Bluträcher dienen, sodass der, der getötet hat, nicht sterben muss, bevor er vor dem Gericht der Gemeinde stand.“ Und schon im 2. Buch Mose ist beschrieben: „Wer einen Menschen tötet, dass er stirbt, der soll des Todes sterben. Hat er ihm aber nicht nachgestellt, sondern hat Gott es seiner Hand widerfahren lassen, so will ich Dir einen Ort bestimmen, wohin er fliehen kann.“ Interessant, fand Pfarrer Beyer, weil ein Unterschied gemacht werde zwischen Mord und Totschlag und weil „die Blutrache zurückstehen soll hinter dem übergeordneten Recht des gesamten Volkes“. Dabei sah er im Asyl eine Doppelfunktion - Schutz vor Verfolgung einerseits, aber auch Strafe, weil man ja die Heimat verlassen muss.
Peter Setzmann am Flügel stimmte in seiner Musikauswahl ein auf das Leben mit und gegen Recht und Gesetz - mit der allseits bekannten „Tatort“-Titelmelodie und der nicht weniger bekannten „Mackie Messer“-Moritat aus Brechts Dreigroschenoper. Das letzte Wort jedoch gebührt hier Dr. Vulpius: „Ich sehe“, sagte sie, „dass ein Großteil der Bevölkerung das, was nun bei uns eingetreten ist, nicht will. Solange wir eine Regierung haben, die sich an die Gesetze hält, kann man diese Dinge nicht auf die Schnelle ändern. Ich sage aber erstens, dass wir Menschen brauchen, und zweitens, dass nicht jeder Flüchtling eine Gefahr darstellt.“

Bernd Hempelmann, Foto: Karla Tolksdorf-Hempelmann